Fünf Fragen an Lin (2021)
Cornelius: Tiere und unser Verhältnis zu ihnen stehen bei Deiner künstlerischen Arbeit im Mittelpunkt. Gab es dafür einen bestimmten Impuls, einen Moment, der zu dieser Entscheidung geführt hat?
Lin: Die Bewegung, der ich mich angeschlossen habe um 2000, hieß zu dem Zeitpunkt Tierrechts-Bewegung.
Die Abstraktheit des Rechtsbegriffs im Namen der Bewegung machte das Thema für mich künstlerisch aber kaum greifbar. Ich wusste nicht, wie ich es angehen könnte, eine Verbindung zwischen den beiden Polen Bildhauerei und Tierrechte herzustellen. Tiere waren bereits das Thema meiner Arbeit, die spezifische Frage nach dem Mensch-Tier-Verhältnis versuchte ich aber über einen längeren Zeitraum thematisch auszuklammern. Dann passierte etwas Entscheidendes. Anfang der Zweitausender Jahre hat sich die Tierrechts-Bewegung einen neuen, beziehungsweise zusätzlichen Namen gegeben: Tierbefreiungsbewegung. Unter diesem neuen Begriff konnte ich mir sofort vorstellen bildhauerisch zu arbeiten.
C: Einige der von Dir benutzten Materialien scheinen fast alltäglich, wie das Styropor bei Deinen Skulpturen und Reliefs, sind also nicht unmittelbar mit künstlerischer Arbeit assoziiert. Ist das eine eher persönliche Präferenz, oder wie würdest Du das beschreiben?
L: Styropor lernte ich in der Plastiker-Werkstatt des Theater Wiesbaden kennen, wo ich vor dem Bildhauerei-Studium als Bühnenbildassistentin gearbeitet habe. Es ist scheinbar ein etwas garstiges Material, aber ich lernte es im Laufe des Bildhauerei-Studiums schätzen. Polystyrol, so heisst das Material eigentlich, ermöglicht autonomes Arbeiten, relativ unabhängig von ökonomischem Druck, der in der Bildhauerei recht groß ist. Ich empfand es als Moment der Selbstermächtigung, so großformatig alleine arbeiten zu können, ohne technische Hilfsmittel wie Laufkatzen, Hubwägen und auch ohne Helfer auszukommen. Die anderen Materialien haben sich fast beiläufig ergeben, ich arbeite gerne mit dem, was ohnehin im Atelier ist. Genauso wie Styropor ein Material des Konsum-Alltags ist, sind Stahlstangen Alltagsmaterial im Atelier, um zum Beispiel Armierungen für Styroporskulpturen zu bauen. Die beleuchteten Scherenschnitte sind aus dem gleichen Material, das für Martinslaternen verwendet wird, farbiges Transparentpapier.
C: Deine künstlerische Arbeit wirkt sehr stringent und scheint unmittelbar verknüpft mit Deiner Haltung als Künstlerin. Kannst Du etwas zu Deinem Arbeitsprozess sagen, zum Tempo, oder wie Du Entscheidungen triffst?
L: Eine Gemeinsamkeit ist bei allen Techniken, ob es Reliefs oder Skulpturen aus Styropor, Stahltore, oder Papier-Scherenschnitte sind, das sie jeweils auf Zeichnungen basieren. Das können neue Zeichnungen sein oder oft liegen zwischen einer Zeichnung und ihrer Umsetzung mehrere Jahre. Dadurch werden die Zeichnungen im Idealfall zu einer Art Fundstück. Und es lässt sich mit einer gewissen zeitlichen Distanz gut entscheiden, ob eine Umsetzung in einem bestimmten Moment sinnvoll ist.
C: Gibt es Fehler, oder gibt es so etwas wie ein Credo?
L: Ein Credo habe ich nicht. Fehler baue ich gerne ein, es gibt zum Beispiel in den Toren einige falsche Überschneidungen. Aber Du meinst vielleicht eine andere Art Fehler, eher generell Fehlentscheidungen?
C: Ich denke eher in Richtung Autorenschaft. Du hast vor einer Weile kurze Texte geschrieben, Fabeln ähnlich. Als ich Dich gefragt habe, ob es vielleicht neue Fabeln gäbe, war Deine Antwort, dass Du Dir vorstellen kannst neue zu schreiben, aber dass es soweit nicht passiert ist. Und dann hat kürzlich eins Deiner Kaninchen einen Stapel Deiner Zeichnungen "durchgesehen", die jetzt als Zeichnungen nicht mehr existieren. Für mich klingt da eine gewisse Gelassenheit durch, was Deine Arbeit angeht, was ich beeindruckend und beneidenswert finde. Ich verstehe das in keiner Weise als Desinteresse, sondern eher als ein Anerkennen, dass zu Deiner künstlerischen Arbeit nicht nur Material, Motivation und Handwerkliches gehört, sondern dass da noch viel mehr mit reinspielt. Wie würdest Du es benennen?
L: Oh, vielen Dank! Und, gute Frage wie das zu benennen wäre. Zum einen mag ich Zufälle. Und Inspiration hat in meiner Wahrnehmung viel damit zu tun, mit welchen Leuten man sich umgibt, wessen Einfluss man haben will. Das sollte man glaube ich sehr bewusst entscheiden. Auf das Verhältnis zur Arbeit bezogen, ist Inspiration ein Teil, aber gute Momente sind vor allem eine Frage von Training, Voraussetzung für affektives Arbeiten. Wenn ich beispielsweise ein paar Wochen nicht zeichne, dann dauert es wieder, hineinzukommen. Das erinnert mich immer an das Trainieren eines Muskels. Der Stapel an Zeichnungen, in den eines der Kaninchen ein großes halbrundes Loch gebissen hat, lag auf meinem Tisch, und es waren Arbeiten und von denen ich nicht genau wusste, ob ich sie gelungen fand. Deswegen hatte ich sie auch nicht über Nacht in Sicherheit gebracht. Das Kaninchen hat mir fürs erste die Entscheidung abgenommen. Das hat mich irgendwie auch erleichtert. Es erinnerte ein bisschen an die römischen Vogelschauen, und an anderer Stelle haben Kaninchen sich hier auch schon so eingebracht, dass die Arbeit danach noch existierte, aber eine andere inhaltliche Wendung genommen hat.
C: Liebe Lin, danke Dir für das Gespräch!
(Ein Gespräch zwischen Lin May Saeed und Cornelius Quabeck im August/ September 2021)